Ferienbilder, denkt man zuerst vor den grossen Arbeiten Martin Guldimanns, mit denen er das Förderstipendium erhalten hat.
Doch dann entpuppen sich die farbigen Prints von Menschen beim Fischen oder auf dem Sessellift als anonymisierte Fotografien.
Der Haut wurde die Farbe entzogen, bis die Körper weiss erscheinen, die Identifizierung der Abgebildeten, welche doch sonst jedes
Ferienbild auszeichnet, fällt weg.
«Diese Fotografien stammen nicht etwa von mir oder aus meinem Bekanntenkreis, sondern von Datenbanken. Man kann
heute Bilder mit allen möglichen Motiven und in allen Varianten einkaufen, so auch Ferienaufnahmen, Allerweltsfotografien.
Ich kam auf diese CD-Bilder, diese Aufnahmen aus dem Computer, um Fotografien von Menschen zu haben, zu denen ich keine
persönliche Beziehung herstellen kann. Es ging mir nun darum, das vorhandene fremde Individuum herauszunehmen und damit
eine neue, allgemeingültige Aussage zu gewinnen. Im Verlaufe der Arbeit ist mir die weisse Farbe für die Gesichter, die damit zu
einer Art Projektionsfläche werden, immer wichtiger geworden. Kunst zu machen heisst für mich, all das zu verarbeiten, was um
mich herum geschieht. Ich möchte mein Denken in Bildern ausdrücken können. Mit der anonymisierten Form von Menschen hoffe
ich, Bildsituationen zu schaffen, in die sich das Publikum hineinsehen und hineinfinden kann.»
Sein helles Atelier, eine ehemalige Werkstatt im Berner Weissenbühlquartier, einer durchgrünten Wohngegend, teilt Martin Guldimann
mit andern, aber er hat sich eine Kreativecke geschaffen, die von vielen Ideen zeugt. Beispielsweise sind an der einen Wand lauter
Du-Sätze auf kleinen Zetteln zu lesen, zum Beispiel «Du hast es gut», «Du bist stark» oder «Du bist
nicht allein».
«Diese Sätze sammle ich, weil ich einmal versuchen will, etwas mit Sprache zu machen, Bei mir dauern solche Prozesse oft
sehr lange, wie auch meine Entwicklung langsam vor sich geht. Sie dauert immer noch an. In Basel habe ich den Vorkurs gemacht,
in Bern das Zeichenlehrerseminar. Momentan verdiene ich meinen Lebensunterhalt als grafischer Assistent. Ich habe mit dem Computer
zu arbeiten begonnen und will in dieser Richtung weitermachen. Das Geld des Stipendiums habe ich jedenfalls in einen Mac investiert.
Ich möchte meine Einrichtungen auch noch für Video aufrüsten, um wieder vermehrt mit bewegten Bildern arbeiten zu können.»
Eine Verbindung von Statik und Bewegung stellt eine Art Fotoskulptur aus Porträts dar, die wie eine Zylinderlaterne vor der Wand hängt
und die Aufmerksamkeit aus sich zieht. Das sei eine Arbeit, die er während des Studiums in Holland gemacht habe, erklärt Martin
Guldimann. Sein Interesses an den Menschen und vor allem an den Menschenbildnissen ist offenbar zentral.
«Das Spannungsfeld Masse-Individuum, in dem wir ja täglich leben müssen, interessiert mich. Ich habe beispielsweise
Normköpfe, wie sie die Coiffeure für Perücken brauchen, mehrfach reproduziert und in eine Videoinstallation integriert. Andrerseits
wähle ich aus gescannten Zeitungsbildern von Massenveranstaltungen Figuren aus dem unscharfen Hintergrund, löse diese aus dem
Umfeld heraus und setzte sie einzeln auf eine neutrale Bildfläche. Von den so entstandenen Bildern lasse ich Prints in Lebensgrösse
herstellen.»
Eine Galerie von eigenartiger Präsenz und gleichzeitiger Ferne und Fremdheit dokumentiert diese Arbeit von Martin Guldimann,
der Bruce Naumann als grosses Vorbild nennt, ohne dass irgendwelche Plagiate bei ihm zu finden wären. In seinem Atelier gibt
es eine Fülle von Realisiertem und Projektiertem, von Bearbeitetem und Gesammeltem. Der Künstler baut sich sein eigenes Bilderreich.
Und dann sind da noch diese geschäumten Polyurethan-Köpfe mit Leitungen, welche die Sinne zu verbinden scheinen.
«Für mich ist es wichtig, immer wieder neue Sachen zu sehen. Meine Quellen sind meine Erfahrungswelten. Ich lerne,
wie ich mit Bildern Fragen stellen kann.»
Fred Zaugg
Erschienen im Buch: Lokaltermin Atelier II, Fred Zaugg und Alexander Egger, Bernische Kunstgesellschaft, 1998
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