begleiten

Vernissagerede von Cornelia Dietschi, Kunsthistorikerin

anlässlich der Eröffnung Kunst am Bau, Stiftung Arkadis in Olten am Donnerstag, 19. Juni 2008

Liebe kunstinteressierte Arkadis-Gäste, lieber Martin Guldimann

Es ist auf die massgebliche Initiative der beiden Architekten dieses Gebäudes - Edi Stuber und Thomi Germann - zurückzuführen, dass im neuen Therapiezentrum Stiftung Arkadis in Olten ein Kunst und Bau Projekt ins Leben gerufen wurde und nun in seiner vollsten Güte erlebbar ist.
Nach der Fertigstellung des Neubaus wurde im Herbst 2004 zusammen mit der Stiftung Arkadis eine Kunstkommission gebildet und eine erste Kunst und Bau Sitzung abgehalten. Die Kunstkommission lud insgesamt 6 Kunstschaffende, die in einem engeren Zusammenhang mit Olten stehen ein, im Rahmen eines Kunst und Bau Wettbewerbes einen Projektvorschlag zu präsentieren. Es waren dies: Meinrad Feuchter, Martin Guldimann, Nathalie Hauswirth, Susan Hodel, Verena Kälin und Marcel Peltier.
Mitte Dezember 2004 fand die erste Begehung im Neubau zusammen mit allen zum Kunst und Bau Wettbewerb Eingeladenen statt. Darauf sind insgesamt 5 Beiträge von den Kunstschaffenden bei der Kunstkommission eingereicht worden, welche die Jury forderten, die Vorschläge zu beurteilen und sich für einen zu entscheiden. Zusammengesetzt war das Beurteilungsgremium aus folgenden Teilnehmern: Dr. Heinrich Erne, pädagogischer Leiter der Stifung Arkadis, Dr. Daniel Menzi, Rechtsanwalt und Stiftungsratspräsident, Edi Stuber, Architekt, Ivan Tihanov, Ingenieur und Stiftungsrat, Daniela Zarella, Administration Stiftung Arkadis und mir als Kunsthistorikerin. Tat- und ratkräftig unterstützt wurden wir zudem vom Geschäftsleiter der Stiftung Arkadis von Herrn Erwin Ritter. Auserkoren hat die Jury anfangs März 2005 den Projektvorschlag von Martin Guldimann.
Alle eingegebenen Projekte zeichneten sich durch Qualität und eine spannende Auseinandersetzung mit dem Gebäude und seinen Nutzern aus. Sie leisteten mit ihren je spezifischen Sichtweisen auf das Haus und seine Bewohner wertvolle Beiträge. Die Spannbreite der Vorschläge war erstaunlich gross. Diese zielten von dezenten Objektpräsentationen auf kleiner Raumfläche bis hin zu Aussenraumbezügen in der Grössenordnung mehrerer Umkreiskilometer.
Der Projektvorschlag von Martin Guldimann hat die Menschen in diesem Haus am konsequentesten miteinbezogen und somit einen Leitgedanken der Stiftung Arkadis bildlich klug umgesetzt. Der Leitgedanke lautet: «Wir stellen Menschen mit einer Behinderung oder mit anderen Entwicklungsbeeinträchtigungen ins Zentrum.»

Geschichten um Kunst und Bau Projekte gibt es viele. Die einen enden gut, die anderen im Streit, weitere enden gar nicht und werden nie realisiert. Kunst und Bau ist kein so harmonisches Geschwisterpaar, wie es im ersten Augenblick vielleicht scheinen möchte. Vielmehr wagt man sich damit auf ein Terrain in einem komplexen Spannungsfeld auf dem unterschiedlichste Stakeholders interagieren. Zu einer gelungenen Projekt-Realisierung werden spezielle, ausserordentliche Anstrengungen aller involvierten Interessengruppen benötigt. Viele Beteiligte des Arkadis-Projektes - von Gross bis Klein - haben mit ihrem ausserordentlichen Engagement zum guten Gelingen beigetragen, und dafür möchte ich schon an dieser Stelle herzlich danken. Einem hat das Ganze aber besonders viel abverlangt - dem Künstler Martin Guldimann. Dabei waren es keine projektimmanenten Störfaktoren, (oder zumindest nur partiell, nämlich die schwierige technische Realisierbarkeit), sondern die traurigen Umstände des Brandvorfalles im Arkadis-Gebäude kurz nach der Vollendung des Kunst und Bau Projektes, die beinahe dazu führten, dass alles zu einer neverending story wurde. Der Künstler war nach dem Zwischenfall gefordert, das Ganze nochmals neu zu realisieren.
Zur grossen Freude aller, kann nun aber nach der definitiven Fertigstellung im Jahr 2007 im Juni 2008 das Kunst und Bau Projekt von Martin Guldimann mit dem Titel «begleiten, bewegen, bespielen» doch noch offiziell eröffnet werden.

Was zeichnet einen gelungenen Kunst und Bau Beitrag aus? Um eine Antwort geben zu können, lohnt es sich, das Spannungsfeld Kunst und Bau etwas näher zu beleuchten.
Neben der Bezeichnung Kunst und Bau trifft man im selben Zusammenhang oft auch Umschreibungen wie «Künstlerischer Schmuck» oder «Künstlerische Ausgestaltung», diese Bezeichnungen reichen zurück auf das Kulturförderungsgesetz von 1975. Impliziert wird damit ein Wunsch auf Dekoration, der oft im Widerspruch zur Kunstauffassung von Kunstschaffenden und Kunstsachverständigen steht.
Die Frage der hierarchischen Zuordnung von Kunst und Bau stellt sich immer wieder. Soll sich die Kunst dem Bau und den Nutzern unterordnen? Soll sie blosse Dekoration sein? Muss sie das sein oder darf sie das ganz sicher nicht sein? Soll Kunst eine unantastbare Eigenständigkeit behaupten? Keine Rücksicht auf Architektur und Nutzer nehmen? Handelt es sich gar um eine eigenständige Kunstgattung «Kunst-und-Bau-Kunst»? Und ist das dann überhaupt noch Kunst?
Martin Guldimann hat den Weg aus dem stets schon vorgegebenen Dilemma in verschiedener Hinsicht mit einer natürlichen Selbstverständlichkeit souverän gefunden. Indem er die jungen Hauptdarstellerinnen und Hauptdarsteller seiner Bilder gleich bei den Nutzern dieses Gebäudes selbst rekrutierte, entwickelte er die Kunst gleichsam mitten aus dem lebendigen Herzen der Stiftung Arkadis.
Martin Guldimann hat bei seinen Vorbereitungsarbeiten verschiedene Therapieangebote begleitet. Er konzentrierte sich auf den medizinisch-therapeutischen Dienst mit Ergotheraphie, Psychomotorik und Physiotheraphie. Der Mittelpunkt seines Interesses bildeten Handlungen und deren Bewegungsabläufe, welche in den Therapien erlernt, eingeübt oder ausgebaut werden. In seiner künstlerischen Umsetzung hat er aus verschiedenen ausgewählten Bewegungsmotiven und benutzten Gegenständen kurze Abläufe herausgfiltert und diese in Lentikularbildern umgesetzt. Lentikularbilder sind kurze Animationen, die aus einer Sequenz mit mehreren Bildern zusammengefügt werden. Beim Vorbeigehen (dem Verschieben des Ansichtswinkels) wird die Bewegung sichtbar.
Zur Technik hat er sich selbst folgendermassen geäussert: «Die Lentikulartechnik ermöglicht es in einem Bild eine kurze Bewegungsfolge darzustellen. Die Betrachtung der bewegten Bilder erfordert eine Bewegung des Betrachtenden selbst. Zudem wird die Interaktion der Bilder mit den Betrachtenden zum Spiel.» Aufmerksam und einfühlsam hat sich der Künstler bestehender Strukturen und Gefässe bedient, hat die eigentlichen Hauptprotagonisten des Hauses - die Kinder - gleich auch zum Zentrum seiner künstlerischen Arbeit gemacht. Er hat die einzelnen Fotosessions formalästhetisch in einen mit der Umgebung korrespondierenden Farbrahmen gesetzt und sorgfältig inszeniert, darauf in einer aufwändigen Auswahlarbeit das digitale Fotomaterial akribisch auf ideale Bewegungsabläufe hin überprüft und schlüssig ausgefiltert, um die geeigneten Sequenzen dann in der Lentikulartechnik umzusetzen. Und dabei hat er natürlich auch noch an uns alle gedacht, denn damit seine Bilder zum Leben gebracht werden braucht es uns, die Betrachter und unsere Bewegung.
Seine künstlerische Auseinandersetzung fokussiert auf zwei Elemente: Spiel und Bewegung. Dies in Anlehnung an einen Leitgedanken des Therapiezentrums: «Spiel und Bewegung gehören zu den elementaren Ausdrucksformen des Kindes. Variantenreiche Spiel- und Bewegungsangebote sollen den Kindern neue Erfahrungen ermöglichen und bisher vielleicht ungewohnte Handlungs- und Erlebnisräume eröffnen.»

Die grosse Leistung der Kunst von Martin Guldimann für diesen Ort ist es, dass er die mannigfaltigsten Ansprüche der verschiedenen Interessengruppen schlüssig zusammen bringt. Dies beweist er in ausgeklügelten Details, wie dem, dass er die Farbigkeit von benutzten Spielgeräten, die sich in den Räumen befinden, aufgenommen und diese als Hintergrundfarbe für seine Fotosettings verwendet hat. Er beweist es aber auch im grösseren Zusammenhang mit der Architektur, indem er der klaren Architektursprache spielerische Elemente entgegen setzt und auf das ausgeführte Wandfarbenkonzept von Adelheid Hanselmann Bezug nimmt. Die Orte der Interventionen wählt er sorgfältig aus und setzt seine Bilder in einen formalen Dialog zu den Funktionsbereichen. Das langgezogene Fries im Eingangsbereich, die bodenbündigen, türhohen Fotobilder in den Gangzonen und das sich weit ausdehnende Seifenblasenbild im Oberlichtbereich des vierten Obergeschosses.
Und der Anspruch der Kunst?
Wer Martin Guldimann und seine künstlerische Arbeit kennt, der weiss, dass ihn bei seinen künstlerischen Fragestellungen, die neuen Medien und deren Möglichkeiten und Grenzen, die Perspektive des Betrachters, das Verhältnis zwischen Akteur und Publikum, die Wahrnehmung und deren Phänomene als durchgängige Themen stets interessieren. Eine wichtige Arbeit in diesem Zusammenhang und auch in Bezug auf das Projekt «bewegen begleiten bespielen» sei da stellvertretend genannt, es handelt sich um die Arbeit «Applaus» aus dem Jahr 2004. Somit hat er mit dem Kunst und Bau Beitrag für Olten sein Kunstfeld nicht verlassen, höchstens erweitert.
Die poetische Seifenblasenarbeit im Oberlichtbereich des 4. OGs spricht für sich. Es gelingt dem Künstler da ein verdichtetes Zeitmoment festzuhalten. Es spiegeln sich darin gleichzeitig das Arkadisgebäude, die Kinder und sogar der Künstler selbst. Martin Guldimann eröffnet uns und hoffentlich allen Nutzern des Gebäudes anregende Erlebnisräume, welche das Umfeld entschieden bereichern.
Martin Guldimann ist ein Perfektionist. Man merkt dies den stimmig und liebevoll inszenierten Fotosettings, die während regulären Therapiestunden entstanden sind bestens an. Ein solches Unterfangen kann nur gelingen, wenn es auf einer guten Zusammenarbeit mit Therapeutinnen und Therapeuten, Kindern und anderen Ansprechpersonen basiert. Martin Guldimann bringt die dazu notwenigen hervorragenden Eigenschaften wie Einfühlungsvermögen, Geduld, Kommunikationsfähigkeit, Überzeugungskraft und Beharrlichkeit in optimaler Mixtur mit.

Ich gratuliere ihm von Herzen zu seiner überzeugenden Kunst im Arkadisbau in Olten!
Grosser Dank sei ausgesprochen dem gesamten Therapeutinnen und Betreuerteam der Arkadis, die optimal mitgemacht haben. Ebenso der engagiert tätigen Kunstkommission, vorab den beiden Architekten Edi Stuber und Thomi Germann. Der Stiftung Arkadis, die ein solches Projekt überhaupt erst ermöglicht hat und allen anderen Beteiligten, die zu einem Gelingen beigetragen haben.
Ein grosses Dankeschön an alle Eltern der involvierten Kinder, dass sie eingewilligt haben mitzumachen und die kleinen Schauspieler, wo nötig im Vorfeld zu coachen.
Das herzlichste Dankeschön gebührt den Kindern, Janik, Sina, Sven, Luca, Daniela, Michael, Angelo, Patric, Cyrill, Volkan, Amine, Nando, Jeremias, Thierry, Ivan, Philipp, Dominik und Fabian. Sie geben mit ihrer eifrig fröhlichen Unbekümmertheit auf den Settings die grossartigsten Hauptdarsteller ab!

© Cornelia Dietschi, Juni 2008


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